Samstag, 22. Oktober 2011

Brief aus der Nachbarschaft zum Thema Hoover-Speisung

Guten Tag,  da ich keine Reutlinger Bürgerin bin, habe ich keinen Kommentar zum  Blog-Eintrag
über die Hoover-Speisung abgegeben. Aber vielleicht interessiert Sie auch
ein Beitrag von jemand, der nicht in Reutlingen wohnt.
Ich wurde 1941 geboren. Wir bekamen in der Volksschule (Leutenbach bei Winnenden)
täglich ein warmes Essen von der Hoover Speisung. Man brachte einen Napf mit,
das war eine Aluminiumtasse, weiß mit blauem Rand, so wie man sie heute noch
auf Wochenmärkten kaufen kann. Dazu noch einen Löffel. Es gab viel Bohnen,
manchmal auch Fleisch, wobei das Pferdefleisch das schlimmste Essen für mich war.
Einmal in der Woche gab es etwas Süßes, oft Vanillepudding, auch Brandt
Zwieback oder Haferflockenbrei gab es. Ich habe das nie vergessen,
wie gut das heiße Essen geschmeckt hat. In meiner Klasse waren 44 Kinder
und ein Lehrer, der vom Kriegsdienst zurückgestellt war, weil er nur einen
Arm hatte. Glücklicherweise bekam jedes Kind etwas zu essen,
obwohl die meisten Bauern als Eltern hatten.
Wenn ich in der vorletzten Zeit dann die Klagen lese einer jungen Frau,
deren Eltern Hartz-4 bezogen und sie oft Brandt Zwieback oder Hafenflocken
essen musste, während sich andere Schleckereien leisten konnten,
dann wundere ich mich, dass so viele Leser schreiben, dass dies wirklich
ein schreckliches Schicksal sei. Doch auch damals gab es Leute,
denen es nach dem Krieg immer noch oder sehr schnell wieder gut ging,
sie brachten mit Butter bestrichene Brote in die Schule und erzählten
davon, dass es Sonntags immer ein Huhn gäbe. Wir aßen Brennnesselsalat,
brachten Buckeckern zur Ölmühle um Öl zu bekommen, sammelten vom
Lastwagen herabgefallene Brikettstücke auf, Brotaufstrich gab es keinen,
Vergeudung wurde streng bestraft, man trug Schuhe und Kleidung vom
Roten Kreuz, egal ob das passte oder nicht. Manchmal teilte jemand
ein Stück Hershey Schokolade aus einem CARE Paket,
sofern der betreffende einen Verwandten hatte in den USA,
und diese freundlicherweise ein CARE Paket auf den Wege brachten.
Heute hat man anscheinend die Not und den Hunger der letzten Kriegs- und
vor allen Dingen der Nachkriegsjahre völlig vergessen, denn sonst würde
man doch ein paar Meinungen lesen können, dass sich auch früher manche
Menschen eben nicht alles leisten konnten.
Psychologische Betreuung für Kinder, die im Luftschutzkeller
Bombenangriffe miterlebten, gab es auch nicht, die Traumata blieb
der Generation zum Selbst-Aufarbeiten.
Ihre Site habe ich ganz durchgelesen. Interessant, und gleichzeitig
macht sie mich traurig.
Mit freundlichen Grüßen Ute Mader

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